Russland - Praxis des Obersten Gerichts in Wirtschaftssachen
- Sergej Suchanow
- 11. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Sergej Suchanow
Die Reihenfolge der Schuldentilgung, Änderung des Vertragspreises durch gerichtliche Entscheidung – diese und weitere Fragen wurden vom Senat im Rahmen der Rechtsprechung im April 2025 behandelt.
Die Angabe des Verwendungszwecks in einem Zahlungsauftrag ändert nicht die gesetzliche Reihenfolge der Forderungsbefriedigung
Sachverhalt:
Ein Käufer geriet mit der Bezahlung gelieferter Waren in Verzug. Der Lieferant verlangte daraufhin die Einziehung der Hauptforderung, der Gerichtskosten (Staatsgebühr), der Zinsen aus dem kommerziellen Kredit sowie der Zinsen gemäß Artikel 395 des Zivilgesetzbuches der Russischen Föderation.
Entscheidungen der drei Instanzen:
Das erstinstanzliche Gericht orientierte sich an der allgemeinen gesetzlichen Reihenfolge der Schuldentilgung. Das Berufungsgericht berücksichtigte den vom Schuldner im Zahlungsauftrag angegebenen Verwendungszweck und rechnete die Zahlung daher auf die Hauptschuld an, aber nicht auf die Zinsen aus dem kommerziellen Kredit. Das Kassationsgericht bestätigte die Auffassung der Berufungsinstanz.
Entscheidung des Obersten Gerichts:
Zwischen den Parteien bestand keine Vereinbarung über die Reihenfolge der Schuldentilgung.
Die gesetzliche Regelung, wonach der Schuldner bestimmt, auf welche seiner Verbindlichkeiten eine Zahlung angerechnet wird, gilt nur für Fälle mit mehreren eigenständigen Hauptverbindlichkeiten. Bei der Erfüllung einer einzelnen Verbindlichkeit erfolgt die Anrechnung in folgender gesetzlicher Reihenfolge: Kosten (z. B. Gerichtskosten), Zinsen (einschließlich solcher aus einem kommerziellen Kredit), danach erst die Hauptschuld.
Der Schuldner kann diese gesetzliche Reihenfolge nicht einseitig durch Angabe eines Verwendungszwecks im Zahlungsauftrag ändern. Zinsen aus einem kommerziellen Kredit stellen keine Haftungsschulden dar und sind daher vor der Hauptschuld zu begleichen.
Falls kein Original des Kaufvertrags existiert, bedeutet dies nicht, dass der Preis anhand des Verkehrswertes zu bestimmen ist
Sachverhalt:
Ein Käufer bezahlte die von ihm erworbenen Aktien nicht. Gemäß den Vertragsbedingungen betrug der Kaufpreis 240 Millionen Rubel. Der Verkäufer verlangte die Zahlung dieses Betrags vom Käufer.
Entscheidungen der drei Instanzen:
Das erstinstanzliche Gericht gab der Klage des Verkäufers statt. Das Berufungsgericht stellte fest, dass der Kaufvertrag gefälscht sei, und kam zu dem Schluss, dass eine Preisvereinbarung zwischen den Parteien nicht vorliegt. Es setzte den Preis auf den Verkehrswert der Aktien – 1 Rubel – fest und sprach diesen Betrag dem Verkäufer zu. Das Kassationsgericht bestätigte diese Entscheidung.
Entscheidung des Obersten Gerichts:
Auch wenn das Original des Kaufvertrags nicht in der Akte vorhanden ist, hat der Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis durch andere Beweismittel nachgewiesen (z. B. Eintrag im Registrierungsjournal, Höhe der Vergütung für den Registerführer, präjudizielle Feststellungen). Wenn die Parteien den Preis im Vertrag vereinbart haben, darf das Gericht nicht stattdessen den Verkehrswert des Vermögens zugrunde legen.
Die Verbindlichkeit gegenüber einem verbundenen Unternehmen kann bei der Bestimmung des tatsächlichen Werts eines Gesellschaftsanteils unberücksichtigt bleiben
Sachverhalt:
Ein Gesellschafter schied aus einer GmbH aus, an der er mit 30 % beteiligt war. Er erhielt 1 Million Rubel als Auszahlungsbetrag auf Grundlage der Bilanzbewertung. Der Gesellschafter klagte auf Zahlung des Differenzbetrags in Höhe von ca. 21 Millionen Rubel.
Entscheidungen der drei Instanzen:
Die Gerichte wiesen die Klage ab. Ein vom Gericht bestellter Sachverständiger bewertete den Anteil mit 30 Rubel. Ein alternatives Gutachten, das den Anteil mit ca. 16 Millionen Rubel bewertete, wurde nicht als ausreichend angesehen, um Zweifel an der gerichtlichen Expertise zu begründen.
Entscheidung des Obersten Gerichts:
Die Reduzierung des Nettovermögens wurde durch eine Verbindlichkeit gegenüber einem verbundenen Unternehmen beeinflusst, das weder Geschäftstätigkeit entfaltet noch Mitarbeiter beschäftigt. Die Gerichte hätten Zweifel an der tatsächlichen Existenz dieser Schuld hegen müssen. In einer Situation mit einem unternehmensinternen Konflikt und widersprüchlichen Angaben zur Bewertung waren die Instanzengerichte verpflichtet, nicht nur die formale Einhaltung der Bilanzierungsvorgaben zu prüfen, sondern auch die wirtschaftliche Substanz der Angaben zu hinterfragen. Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung an die Ursprungsinstanz zurückverwiesen.
Der Unterschied von rechnerischem und tatsächlichem Preis ohne Berücksichtigung der Marktlage ist kein Beweis für einen eingetretenen Schaden
Sachverhalt:
Nach dem Wechsel des alleinigen Gesellschafters verlangte eine Gesellschaft Schadensersatz in Höhe von 50,3 Millionen Rubel vom ehemaligen Geschäftsführer. Der Vorwurf: Er habe Produkte zu unterbewerteten Preisen verkauft. Hauptabnehmer war ein mit dem Geschäftsführer verbundenes Unternehmen. Der geltend gemachte Schaden wurde als Differenz zwischen dem vom Sachverständigen ermittelten Preis und dem tatsächlichen Verkaufspreis berechnet.
Entscheidungen der drei Instanzen:
Das erstinstanzliche Gericht gab der Klage statt. Das Berufungsgericht reduzierte die Summe leicht, indem es Geschäfte ausschloss, die vor der Amtsübernahme des Beklagten als Geschäftsführer abgeschlossen wurden. Das Kassationsgericht bestätigte die Entscheidung der Berufungsinstanz.
Entscheidung des Obersten Gerichts:
Die beanstandete Preispolitik bestand bereits vor der Amtszeit des Beklagten und wurde auch nach seinem Ausscheiden fortgeführt.Die Gerichte haben, entgegen den Argumenten des Beklagten, nicht geprüft ob es unter den gegebenen Marktbedingungen überhaupt möglich war, die Waren zum vom Sachverständigen berechneten Preis zu verkaufen.Ein bloßer Vergleich von rechnerisch ermittelten Preisen mit den tatsächlich erzielten Verkaufspreisen ohne Analyse der Marktlage reicht nicht aus, um einen Schaden nachzuweisen.
Allein die Tatsache, dass Geschäfte mit einem verbundenen Unternehmen abgeschlossen wurden, bedeutet nicht automatisch, dass ein Schaden entstanden ist, insbesondere dann nicht, wenn ein Interessenkonflikt offengelegt wurde und der Eigentümer des Unternehmens nicht widersprochen hat.Eine langjährige Geschäftstätigkeit nach demselben ökonomischen Modell und das Fehlen von Einwänden seitens des Gesellschafters können als stillschweigende Zustimmung zu den Handlungen des Geschäftsführers gewertet werden.
Ein Gesellschafter, der Einfluss darauf hat, dass ein für die Gesellschaft offensichtlich unvorteilhaftes Geschäft abgeschlossen und erfüllt wurde, ist zum Schadensersatz verpflichtet
Sachverhalt:
Eine Gesellschaft und ihr Minderheitsgesellschafter schlossen Mietverträge, auf deren Grundlage der Minderheitsgesellschafter rund 26 Millionen Rubel erhielt.Die Mietzahlungen wurden buchhalterisch nicht erfasst. Nach Erhalt der Gelder schied der Minderheitsgesellschafter aus der Gesellschaft aus.Der Mehrheitsgesellschafter focht die Verträge als bedeutende Geschäfte an, die ohne erforderliche Zustimmung abgeschlossen wurden, und verlangte Rückzahlung der gesamten Summe.
Entscheidungen der drei Instanzen:
Das erstinstanzliche Gericht gab der Klage vollständig statt. Es stellte fest, dass der Geschäftsführer, der die Verträge unterzeichnete, tatsächlich vom Beklagten abhängig war.
Das Berufungsgericht erklärte die Verträge zwar für nichtig, wies jedoch die Rückforderung der Gelder ab – die Gesellschaft habe das angemietete Vermögen tatsächlich genutzt. Das Kassationsgericht bestätigte die Entscheidung der Berufungsinstanz.
Entscheidung des Obersten Gerichts:
Der Geschäftsführer handelte im Interesse des Minderheitsgesellschafters, weshalb dieser als Person gilt, die die Entscheidungen der Gesellschaft in Bezug auf die angefochtenen Geschäfte tatsächlich bestimmt hat. Eine solche Person ist gemäß Gesetz verpflichtet, der Gesellschaft Schadensersatz zu leisten, wenn sie nicht im Interesse der Gesellschaft handelt. Der Minderheitsgesellschafter zog aus den Geschäften einen persönlichen Vorteil, der den Interessen der Gesellschaft zuwiderlief. Der Umfang der gemieteten Flächen überstieg den früheren Bedarf der Gesellschaft um das Fünffache, während die Miete von 30 Millionen Rubel für 11 Monate bei einem Jahresumsatz von nur 6 Millionen Rubel wirtschaftlich unvertretbar war. Der Beklagte konnte nicht nachweisen, dass eine gleichwertige Gegenleistung erbracht wurde. Die Entscheidungen der Berufungs- und Kassationsinstanz waren widersprüchlich. Einerseits erkannten sie auf Unvorteilhaftigkeit der Geschäfte, andererseits beließen sie dem Beklagten den gesamten dadurch erlangten Betrag.





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